Viele meiden das Wort „Schuld“
Jeder Mensch hat mehr oder weniger starke Gefühle, ob er das nun will oder nicht. Eines davon ist das Schuldgefühl, das oft in Hand in Hand mit Angst, Scham und Ärger über sich selbst auftaucht. Helga Kernstock-Redl erläutert: „Es kann überaus unangenehm werden, doch das ist keine selbstlose Selbstquälerei.“ Die Dynamik des Schuldgefühls ist sogar ziemlich einfach. Obwohl es auf den ersten Blick ziemlich kompliziert wirkt. Doch die wenigsten Menschen möchten darüber nachdenken, schon das Wort „Schuld“ meiden viele. Fast niemand will also gern selbst solche Gefühle selbst spüren. Aber doch manchmal scheint das menschliche Gehirn sie regelrecht zu suchen. Wenn es keine findet, kann es sogar welche erfinden. Helga Kernstock-Redl ist Psychologin und Psychotherapeutin. Ihre große Leidenschaft gilt dabei der Psychologie der Gefühlswelt.
Einzelne Menschen fühlen sich frei von Schuldgefühlen
Spätestens im Kindergarten fangen die Kleinen an, Schuldgefühle zu vermeiden. Sie wehren Schuldzuweisungen ängstlich ab und kämpfen um die größere Opferrolle. Und in vielen Firmen sucht nach einem Fehler niemand nach einer Lösung, sondern alle Energie fließt in die Frage: „Wer hat Schuld?“ Einzelne Menschen wiederum fühlen sich gänzlich frei von Schuldgefühlen, obwohl man sich nur wünschen kann, sie hätten das eine oder andere, damit sie weniger Unheil anrichten.
Tausende Textzeilen sind über die philosophischen, juristischen, religiösen, ethischen und analytischen Ansichten rund um Schuld, Opfer und Gerechtigkeit geschrieben worden. Sie gehören mit Sicherheit zu den mächtigsten Emotionen überhaupt. Daher finden sich dieses und verwandte Themen wie Gerechtigkeit oder Sühne bereits in den allerältesten, überlieferten Schriften der Menschheitsgeschichte: im Gilgamesch-Epos, in der Ilias von Homer, in vielen Mythen oder religiösen Texten. Mehr denn je ist es ein Hauptthema einflussreicher Werke großer Schriftsteller und Künstler.
Schuldgefühle kommen in vielen Lebenssituationen vor
Die intensive Beschäftigung damit ist für Helga Kernstock-Redl nicht verwunderlich: Schuldgefühle bilden ein zentrales Thema in vielen Lebenssituationen, in Krisen und Konflikten sowie bei Krankheiten. Schuldgefühle sind auch nicht unbekannt in Familien und am Arbeitsplatz, in der Politik und in allen Medien. An jedem einzelnen Tag wird man bei Entscheidungen und im Kontakt mit anderen damit konfrontiert. Lange Zeit war Helga Kernstock-Redl sogar der Ansicht, die Gefühle von Schuld und Gerechtigkeit unterscheiden die Menschen von den Tieren.
Die Psychologin gibt zu, sich dabei gründlich geirrt zu haben. Denn zumindest Primaten können ohne jeden Zweifel Schuld fühlen und kennen auch Wege, sich davon zu befreien. Wer nun glaubt, ein so komplexes Gefühl müsse kompliziert sein, täuscht sich glücklicherweise. Seine innere Dynamik folgt bestimmten psychologischen Gesetzen, die so verständlich – wenn auch nicht so verbindlich – sind wie die Naturgesetze der Physik. Deshalb hat jedes wichtige Schuldgefühl wichtige Ursachen. Quelle: „Schuldgefühle“ von Helga Kernstock-Redl
Von Hans Klumbies